Börsennotierte Gesellschaften sind gemäß § 161 Aktiengesetz (AktG) verpflichtet, einmal jährlich zu erklären, dass sie den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) entsprechen oder erläutern, weshalb sie einzelnen Empfehlungen nicht nachkommen. Soweit sich hier unterjährig relevante Änderungen in den Geschäftsabläufen bzw. der Unternehmenspraxis ergeben, stellt sich die Frage, ob, wann und in welcher Form hiervon zu berichten ist.

Ausgangslage
Generell haben Unternehmen, für die der DCGK gilt, ihre entsprechenden Bekanntmachungen in der Form sog. Entsprechenserklärungen vorzunehmen. Dabei kann der „Abstand“ zwischen zwei Entsprechenserklärungen bis zu einem Jahr betragen. Eine Orientierung am Kalenderjahr ist hier nicht erforderlich, so dass beispielsweise eine Anfang März veröffentlichte Entsprechenserklärung eine „nächste“ Erklärung auch erst Anfang März des darauffolgenden Jahres erfordert. Andererseits ist es den Unternehmen freigestellt, auch innerhalb eines kürzeren Zeitraumes eine weitere Entsprechenserklärung folgen zu lassen bzw. binnen eines Kalenderjahres mehrere Erklärungen zu veröffentlichen. Soweit die Entsprechenserklärung neben einer dauerhaften Zugänglichmachung auf der Internetseite der Gesellschaft (zweckmäßigerweise unter „Investors Relations“, wo auch „alte“ Entsprechenserklärungen verbleiben) zudem in die Erklärung zur Unternehmensführung i.S.d. § 289f Handelsgesetzbuch (HGB) – also in den Geschäfts- bzw. Lagebericht – aufzunehmen ist, handelt es sich insoweit um die jeweils letzte bzw. aktuelle Entsprechenserklärung.

Mit der Entsprechenserklärung soll nach Maßgabe des § 161 Abs. 1 AktG bekundet werden, dass den Empfehlungen des DCGK „entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht“ (Prinzip des sog. Comply-or-Explain). Danach hat jede Entsprechenserklärung den Blick zurück (vergangenheitsbezogen) und nach vorne (zukunftsbezogen) zu richten. – Was ist nun zu tun, wenn die in der Entsprechenserklärung bekundete Unternehmenspraxis sich „unterjährig“ verändert bzw. nicht mehr mit der zuletzt abgegebenen Erklärung übereinstimmt? Hierbei sind zwei Grundfälle denkbar: Zum einen ist eine Abweichung vom Kodex erklärt worden und die betreffende Empfehlung des Kodex wird nunmehr doch eingehalten; zum anderen ist zu einer Empfehlung des Kodex keine Abweichung erklärt worden, während von der betreffenden Empfehlung nunmehr doch abgewichen wird. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob es hier der unterjährigen Veröffentlichung einer „neuen“ Entsprechenserklärung bedarf oder was zu tun ist.

Zweckmäßiges Vorgehen
Etwas einfacher gestrickt dürfte hier der Fall sein, dass eine Abweichung vom Kodex erklärt wurde und die betreffende Empfehlung des Kodex nunmehr bzw. später dann doch eingehalten wird. In diesem Fall dürften keine rechtlichen Bedenken bestehen, mit einer Bekanntmachung der geänderten Unternehmenspraxis abzuwarten, bis die neue Entsprechenserklärung turnusmäßig zu veröffentlichen ist – also spätestens ein Jahr nach Veröffentlichung der vorherigen Erklärung. Dass die vorherige Erklärung in ihrem zukunftsbezogenen Teil unterjährig dann nicht mehr zutreffend ist, dürfte insoweit irrelevant sein, als sich die „Corporate-Governance-Lage“ des Unternehmens ja lediglich „verbessert“ hat. Hier würde es also ausreichen, in der turnusmäßig nächsten Entsprechenserklärung kurz auf die mittlerweile geänderte Unternehmenspraxis hinzuweisen, die keine Abweichung vom Kodex mehr darstellt.

Etwas schwieriger ist der Fall, dass ein Unternehmen „zwischen“ zwei turnusmäßigen Entsprechenserklärungen damit „beginnt“, von einer Kodexempfehlung abzuweichen; hier handelt es sich mithin um eine Abweichung, von der zuvor – also in der vorherigen Entsprechenserklärung – noch nicht berichtet worden war. Hier dürfte der Grundsatz bestehen, von der eingetretenen Abweichung sogleich zu berichten und hierfür auch eine Begründung anzugeben, was typischerweise dann mittels einer neuen unterjährigen Entsprechenserklärung geschehen müsste; dies würde die geänderte Unternehmenspraxis, die ja dann von den Kodex-Empfehlungen abweicht, am Markt hinreichend transparent machen – und genau diesem Ziel dient ja der Kodex. In diesem Falle wäre mit Veröffentlichung dieser neuen unterjährigen Entsprechenserklärung ein „neues Zeitfenster“ von einem Jahr bis zur dann wiederum nächsten Entsprechenserklärung eröffnet. Zu denken wäre bei Eintritt der Abweichung aber auch daran, keine gänzlich neue Entsprechenserklärung zu veröffentlichen, sondern ausschließlich von der in Rede stehenden Abweichung als Annex bzw. „im Nachgang“ zu der vorherigen Entsprechenserklärung zu berichten; in diesem Falle wäre es allemal vertretbar, den seit der vorherigen Erklärung „laufenden“ Jahresturnus beizubehalten und erst zu dessen Ende hin eine gänzlich neue Entsprechenserklärung zu veröffentlichen – andererseits ließe sich hier mit Veröffentlichung der genannten Annex-Erklärung aber kein gänzlich neu beginnender Jahresturnus „konstruieren“.

Auch in der vorstehenden Fallgruppe – unterjährige Abweichung vom Kodex, über die in der vorherigen Entsprechenserklärung noch nicht berichtet wurde – dürften aber Fälle denkbar sein, die weder eine gänzlich neue Entsprechenserklärung noch eine Annex-Erklärung der oben genannten Art erfordern. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn es sich um eine einmalige Abweichung oder einen Fall „höherer Gewalt“ handelt und in diesem Zusammenhang keinesfalls beabsichtigt ist, die in Rede stehende und dem Kodex entsprechende Unternehmenspraxis auch weiterhin bzw. dauerhaft abzuändern. Beispielhaft sei hier der Fall genannt, dass ein Unternehmen es entgegen der Empfehlung F.2 des Kodex in einem Jahr aus begründetem Anlass „nicht schafft“, den Jahresabschluss binnen 90 Tagen nach Geschäftsjahresende zu veröffentlichen. Hier dürfte es wegen der generellen Beibehaltung einer kodexkonformen Unternehmensführung nicht erforderlich sein, unterjährig eine neue Entsprechenserklärung oder einen Annex-Hinweis zur vorherigen Erklärung zu veröffentlichen; ein entsprechender Hinweis in der nächsten turnusmäßigen Erklärung dürfte insoweit ausreichen. Hinzu kommt in diesem Beispielsfall der Umstand, dass das betreffende Unternehmen wegen der in Rede stehenden Verzögerung den Markt wohl typischerweise mittels einer sog. Corporate News (ggf. käme auch eine Ad-hoc-Mitteilung in Betracht) informieren würde, so dass die Öffentlichkeit auf diesem Wege auch bereits hinreichend über den Vorgang informiert wäre.

Praxistipp
Unternehmen im Anwendungsbereich des DCGK sollten im Falle einer unterjährigen Veränderung der Unternehmenspraxis, die eine Abweichung von der vorherigen Entsprechenserklärung bedingt, stets erwägen, ob es insoweit sogleich einer gänzlich neuen Erklärung oder einer bloßen Annexbekanntmachung zur vorherigen Erklärung bedarf oder ob hierauf einstweilen verzichtet und der laufende Jahresturnus „abgewartet“ werden kann. Dies gilt gleichermaßen für „positive wie negative“ Abweichungen von der vorherigen Entsprechenserklärung, wenngleich vor allem „negative“ Abweichungen in der Regel eine umgehende Bekanntmachung erfordern dürften. Je nach Reaktion des betreffenden Unternehmens kann dann leichterdings auch der Zeitraum bzw. Zeitpunkt ermittelt werden, bis zu dem die wiederum nächste Entsprechenserklärung zu veröffentlichen ist, wobei vielfach ein neuer Jahresturnus zu „laufen“ beginnen dürfte.

Hinzuweisen ist weiterhin darauf, dass die Anforderungen des DCGK nicht mehr nur für „börsennotierte“ Gesellschaften gelten – also für Unternehmen, deren Aktien an einem geregelten Markt zugelassen sind. Vielmehr fallen in den Anwendungsbereich des Corporate-Governance-Regimes auch Unternehmen, die andere Wertpapiere als Aktien (insbesondere Schuldverschreibungen oder Genussscheine) am geregelten Markt ausgegeben haben und deren Aktien auf eigene Veranlassung über ein multilaterales Handelssystem – hierunter fallen insbesondere die Freiverkehrssegmente der hiesigen Börsen und das Wachstumssegment Scale der Deutschen Börse AG – gehandelt werden. Auch diese Unternehmen haben mithin regelmäßig Entsprechenserklärungen zu veröffentlichen und alle hiermit verbundenen gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

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