Die VOB/B als traditionsreiches, in den vergangenen Jahren kaum überarbeitetes Klauselwerk ist in Teilen bereits seit längerem in der Kritik. Nun hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Streitfrage zu befassen, ob eine durch den Auftraggeber erklärte Kündigung wegen nicht fristgerechter Beseitigung von Mängeln vor Abnahme – wie sie § 4 Abs. 7 VOB/B ermöglicht – wirksam ist.
Dem Urteil des BGH vom 19. Januar 2017 (VII ZR 301/13) lag der Fall zu Grunde, dass der Auftragnehmer des streitgegenständlichen, aus der Feder des Auftraggebers stammenden VOB/B-Bauvertrages der Mängelbeseitigungsaufforderung des Auftraggebers, die mit einer Kündigungsandrohung verbunden war, nicht fristgerecht nachkam. Daraufhin kündigte der Auftraggeber den gesamten Bauvertrag. Die Mängel, die Grund der Kündigung des Auftraggebers waren, führten allerdings nur zu Mängelbeseitigungskosten in Höhe von ca. EUR 6.000 und hätten bei laufendem Baubetrieb in zwei bis drei Arbeitstagen beseitigt werden können. Im Gegensatz hierzu hatte der zwischen den Parteien geschlossene Bauvertrag einen Auftragswert in Millionenhöhe.
Der BGH bejahte zunächst für den streitgegenständlichen VOB/B-Bauvertrag die Anwendbarkeit der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle für die Regelung des § 4 Nr. 7 S. 3 VOB/B (Fassung 2002, jedoch wortlautidentisch mit § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B n.F.). Die Parteien hatten die VOB/B mit vertraglichen Modifikationen und somit nicht „im Ganzen“ vereinbart. Klauselverwender war der Auftraggeber. Der BGH entschied bereits mit Urteil vom 22. Januar 2004 (AZ VII ZR 419/02), dass jede vertragliche Abweichung von den Regelungen der VOB/B unabhängig davon, ob sie erheblich ist oder nicht, dazu führt, dass die Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff BGB eröffnet ist. Nur die Vereinbarung der VOB/B „im Ganzen“, d.h. ohne Modifikation in den sonstigen Vertragsunterlagen, bedeutet ein für beide Parteien ausgewogenes Vertragswerk, dass der Inhaltskontrolle entzogen ist.
Die Klausel in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) hält nach dem Urteil des BGH der Inhaltskontrolle nicht Stand. Die Regelung ist gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.
Dabei ist der Auslegung der Klausel gemäß § 305 c Abs. 2 BGB stets (abstrakt) die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dadurch den Vertragspartner des Verwenders – hier den Auftragnehmer - begünstigt. Bei kundenfeindlichster Auslegung der Regelung in § 4 Nr. 7 S. 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Var. 1 VOB/B (2002) würde schon jede geringfügigste Vertragswidrigkeit bzw. schon jeder geringfügigste Mangel während der Ausführungsphase ein Recht zur Kündigung begründen und somit die weiteren Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund unterlaufen. Für eine derartige Kündigung aus wichtigem Grund müsste nämlich eine so tiefgehende Störung des Vertragsverhältnisses vorliegen, dass es auch nach Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien dem Auftraggeber nicht mehr zumutbar ist, an dem Vertragsverhältnis festzuhalten (vgl. § 314 BGB zu Altverträgen bzw. § 648a BGB für Verträge ab dem 1. Januar 2018).
Nach den Feststellungen des BGH erstreckt sich die Unwirksamkeit zwar nicht auf die übrigen beiden Kündigungstatbestände des § 8 Nr. 3 S. 1 VOB/B (2002; vgl. § 8 Abs. 3 S.1 VOB/B n.F.). Jedoch erscheint zukünftig eine kritischere Bewertung angezeigt, weil auch diese Kündigungstatbestände (wegen unzulässigem Nachunternehmereinsatz bzw. wegen Ausführungsverzugs) nicht nach der Gewichtigkeit der Vertragsverletzung des Auftragnehmers differenzieren.
Eine Kündigung durch den Auftraggeber, der dem Auftragnehmer die Vertragsklauseln stellt und dessen Vertragsdokumente Abweichungen von den Regelungen des VOB/B-Klauselwerks enthalten, sollte daher besser denn je überlegt, und vorsorglich am Maßstab des § 314 BGB bzw. § 648a BGB bemessen sein. Die Frage nach der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung sollte eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden können.