Der BGH hat mit Urteil vom 22. Mai 2025 (Az. IX ZR 80/24) zur Insolvenzanfechtung einer Zahlung an den Sozialversicherungsträgers ausgeführt, dass auch dessen „freundliche“ Zahlungsaufforderung, die daraufhin vom Schuldner im Vorfeld einer Insolvenz geleistete Zahlung anfechtbar machen kann.
Der Fall
Im zugrunde liegenden Fall war die spätere Insolvenzschuldnerin, eine GmbH, in der Krise mit der Zahlung ihrer fälligen Sozialversicherungsbeiträge in Rückstand geraten. Daraufhin erließ der Sozialversicherungsträger einen Beitragsbescheid mit dem Betreff „Bitte denken Sie an Ihre Beitragszahlung“, der eine Zahlungsfrist setzte und für den Fall der Nichtzahlung die Zwangsvollstreckung ankündigte. Die GmbH zahlte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH nahm der Insolvenzverwalter die Zahlung im Wege der Deckungsanfechtung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO zurück.
Vollstreckungsdruck in der Krise kann zu Anfechtbarkeit führen
Nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung des Schuldners anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die dieser nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gilt dies insbesondere auch für Zahlungen, die der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat.
Grund dafür ist, dass ein Insolvenzverfahren den Wettlauf der Gläubiger beendet. Wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten, tritt im Insolvenzverfahren die Befugnis des einzelnen Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel Befriedung zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück.
Dabei erkennt der BGH eine zur Insolvenzanfechtung berechtigende Inkongruenz der Zahlung bereits dann, wenn der Schuldner unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung zahlt. Entscheidend dafür ist die objektive Sicht des Empfängers. Dabei kann eine Formulierung genügen, die dies zwar nicht ausdrücklich androht, ein derart geplantes Vorgehen aber „zwischen den Zeilen“ deutlich werden lässt oder wie im entschiedenen Fall, ein freundlich, verständnisvoller Tonfall gewählt wird, der eher an eine bloße Mahnung erinnert (so die Vorinstanz). Entscheidend ist, dass der Gläubiger den Schuldner in eine Drucksituation bringt, in der der Schuldner davon ausgehen muss, dass der Gläubiger unmittelbar und ohne weitere Zwischenschritte die Zwangsvollstreckung betreiben würde.
Besonderheit
Die Besonderheit des Falles war sicherlich, dass für den Sozialversicherungsträger die Möglichkeit besteht, den eigenen Leistungsbescheid aufgrund eigener Vollstreckungsanordnung vollstrecken zu lassen, sodass es bis zur Vollstreckung keiner wesentlichen Zwischenschritte mehr gegenüber dem Schuldner bedarf. Diese Möglichkeit besteht für Parteien aus der freien Wirtschaft im Geschäftsverkehr regelmäßig nicht.
Praxistipp
Wenn ein Gläubiger im normalen Geschäftsverkehr eine „freundliche“ Zahlungsaufforderung an seinen Geschäftspartner in Schieflage schreibt, so kann deren Nichtbeachtung durch den Gläubiger nur dann ohne Zwischenschritte in eine Zwangsvollstreckung münden, wenn der Gläubiger bereits über einen vollstreckbaren Titel gegenüber dem Schuldner verfügt. Umso wichtiger ist es aber, in einer solchen eigentlich guten Ausgangsposition, größte Sorgfalt walten zu lassen, um etwaige Zahlungen nicht dem Risiko einer Insolvenzanfechtung auszusetzen.
Weiterführende Links
BGH Urteil vom 22. Mai 2025 – IX ZR 80/24 - Urteil des IX. Zivilsenats vom 22.5.2025 - IX ZR 80/24 -